Jahresbericht
2018/2019

Einiges ist neu - das Wesentliche bleibt...

Interview: 12 Fragen an die Schulleitung des KV Chur

Mitglieder Schulleitung im Gespräch (Foto: Romano Cosi )

 

Der Jahresbericht 2018/2019 liegt in neuer Form vor. Was waren die Beweggründe dazu?

Christoph Vesti (VES): Die vielen Jahresberichte auf Hochglanzpapier, die jährlich bei uns eintreffen, kurz gelesen werden und dann mehrheitlich im Altpapier landen, haben uns zum Nachdenken gebracht. Was passiert wohl mit all den Jahresberichten, die wir verschicken? Wir versuchten, einen neuen Weg zu gehen. Wir wollten nicht einfach die analoge Form digitalisieren, sondern unsere Vorstellung der digitalen Transformation mit der neuen Form des Jahresberichtes zum Ausdruck bringen.

Können Sie etwas zum neuen Logo sagen?

VES: Eine grafische Überarbeitung unseres Logos zeigte nach kurzem auf, dass eine komplette Neugestaltung des heutigen Logos der WSKV Chur am zielführendsten war; damit verbunden erfuhr die Namensgebung eine minime Änderung. Der mündliche Gebrauch der Schulbezeichnung „KV Chur“ ist sowohl bei Lernenden wie auch bei Betrieben nach wie vor gängig. Diesem Umstand trägt das neue Logo Rechnung. Als konsequente Folge davon lauten die neuen Mail-Adressen für die Mitarbeitenden der Schule neu andreas.muster@kvchur.ch und für alle Lernenden andreas.muster@stud.kvchur.ch.

In den nächsten Jahren werden viele Berufe reformiert. Was ist der Kern? Wird das System «auf den Kopf gestellt»?

Renato Bergamin (BER): Das ist in der Tat so. Ein intensiver Reformprozess beschäftig die kaufmännischen Berufsfachschulen heute und in den nächsten Jahren. Mit der Neuorientierung unserer Ausbildungen nach sogenannten Handlungskompetenzen bleibt kein Steinchen mehr auf dem anderen. Die klassische Lektionsaufteilung wird es nach heutigem Modell nicht mehr geben, das begleitete selbstorganisierte Lernen gewinnt an Einfluss und die Lehrpersonen werden immer mehr zum Lerncoach. Ob diese Entwicklung nur Gutes bringt, soll kritisch hinterfragt werden. Im Sommer 2019 startet die MPA-Ausbildung nach neuer Bildungsverordnung, ab 2020 die Dentalassistenten-Ausbildung, ab 2021 die Pharmaassistenten-Ausbildung und schliesslich 2022 die kaufmännische Ausbildung und die Detailhandelsberufe.

Sie haben nun zwei Jahre bereits in neuer Form geleitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Co-Rektorat gemacht?

BER: Aus meiner Sicht bewährt sich unsere Co-Leitung sehr. Es sind mehrere Punkte, die für dieses Modell sprechen, ganz besonders die «doppelte Verantwortung». Wir beide fühlen uns für die Schule verantwortlich, sprechen uns jederzeit ab und haben unseren Kompetenzen entsprechend die jeweiligen Bereiche unter uns. Diese Lösung ermöglicht uns, vermehrt auch zu unterrichten und damit die Nähe zu den Lernenden nicht zu verlieren.

VES: Für mich ist wichtig, dass jede Entscheidung kritisch hinterfragt wird. Das geschieht bei uns täglich und mittlerweile fast schon automatisch. Dies fördert die Entwicklung unserer Schule und entspricht unserem Verständnis von gelebter Führungskultur.

Herr Valenti, Sie sind ebenfalls Mitglied der Schulleitung, aber in der Funktion als Abteilungsleiter, wo Sie die Berufsmaturität unter sich haben. Wie können Sie sich als dritte Person in die Schulleitung einbringen?

Giuseppe Valenti (VAL): Die Führung der Schule in einem Co-Rektorat erfordert und fördert meines Erachtens eine offene sowie konstruktive Kommunikationskultur. Die Tatsache der «doppelten Verantwortung», wie Renato Bergamin dies nennt, führt dazu, dass die Entscheidungsfindung nach dem Kollegialitätsprinzip selbstverständlich ist. Gepaart mit einer Grundhaltung der gegenseitigen Wertschätzung und des Respekts, ergibt dies ein Klima, welches sich sehr positiv auf die Gesprächskultur in der Schulleitung und auf das Führen der Schule auswirkt. Obwohl ich hierarchisch meinen Kollegen Co-Rektoren unterstellt bin, existiert bei uns keine Hierarchisierung der Ideen und Meinungen. Somit fühle ich mich nebst der Verantwortung über meine Abteilung stets auch mitverantwortlich für die Entwicklung und das Weiterkommen der Schule als Ganzes.

Wie beurteilen Sie die Attraktivität der Berufsmaturität im Bildungsumfeld?

VAL: Betrachtet man die schweizweiten Zahlen, so kann man bei der Berufsmaturität von einem Erfolgsmodell sprechen. Zwischen dem Jahr 2000 und 2016 hat sich die Anzahl der Berufsmaturitätszeugnisse mehr als verdoppelt, von 6475 auf 14397 BM-Zeugnisse. Davon fallen über 50 % auf die Ausrichtung Wirtschaft und Dienstleistungen. Die Berufsmaturität ist ein zentraler Pfeiler in der schweizerischen Bildungslandschaft und trägt massgeblich zur Durchlässigkeit im Bildungssystem bei. Sie ist eine attraktive Alternative zur gymnasialen Ausbildung. Die grösste Stärke der Berufsmaturität liegt in der Verknüpfung von beruflicher Grundbildung und erweiterten Allgemeinbildung. Berufsmaturanden sind voll ausgebildete Berufsleute, die zudem die nötigen Voraussetzungen für ein Fachhochschulstudium mitbringen. Dass Absolventen der Berufsmaturität für die Fachhochschulen ein beliebtes Zielpublikum darstellen, zeigen auch die vielen Anfragen von Fachhochschulen, die an unserer Schule Informationsveranstaltungen durchführen möchten.

Sie haben bereits vor einem Jahr die Anerkennung der Berufsmaturität Typ II erhalten. Wie sieht es mit der berufsbegleitenden BM aus?

VAL: Dank der Vorarbeit meines Vorgängers Christian Aliesch und der engagierten Mitarbeit des gesamten BM-Kollegiums sowie der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Schulexperten der Eidgenössischen Berufsmaturitätskommission (EBMK), liegt die Anerkennung für die BM 1 in greifbarer Nähe. Wir rechnen noch in diesem Jahr mit dem erfolgreichen Abschluss des Anerkennungsverfahrens.

Wie hat sich die Lernendenzahl in den letzten 10 Jahren entwickelt?

VES: Wir haben eine relativ stabile Zahl von ca. 1'100 Lernenden; im Jahre 2012, mit über 1'230 Lernenden, platzten unsere beiden Schulhäuser aus allen Nähten, so dass wir zusätzliche Räumlichkeiten im Stadtbaumgarten dazu mieten mussten. Es ist ein Irrglaube, dass die Anzahl Lernender etwas über die Qualität einer Schule aussagt. Wir haben festgestellt, dass bei der heutigen Anzahl Lernender der «Dichtestress» abgenommen hat. Dies hat sich positiv auf das Lernklima ausgewirkt.

Der kaufmännischen Lehre haftet der Ruf an, sie sei eine dieser Lehren für Jugendliche, «die nicht wissen, was sie wollen». Was halten Sie von dieser Aussage?

VES: Den Grossteil der Jugendlichen erlebe ich nicht so. Eine Berufswahl wird jedenfalls nicht leichtfertig gefällt, denn die Lehrstellensuche ist sehr aufwendig und wird sozusagen zum Familienprojekt. Ausserdem identifizieren sich die jungen Menschen mit dem Berufsweg, den sie eingeschlagen haben. Das erklärt auch ihren Berufsstolz. Wer die kaufmännische Lehre begonnen hat, beendet diese in der Regel. Es gibt nur wenige Lehrabbrüche.

Die Nachfrage ist jedenfalls nach wie vor ungebrochen. Rund ein Viertel aller angehenden Lernenden in der Schweiz entscheidet sich für eine KV-Lehre. Bei uns starten jedes Jahr 8 neue KV-Klassen.

Die Entwicklung schreitet voran. Sind die Bildungsinstitutionen nicht zu langsam?

VES: Einerseits stehen wir im täglichen Kontakt mit den Lehrbetrieben, den Lernenden und den Berufsverbänden. Wir wissen, was im Berufsalltag unserer Lernenden abgeht. Andererseits haben wir einen vom Bund verordneten Bildungsauftrag mit klar vorgegebenen Leistungszielen. Unsere Aufgabe besteht darin, die eine Seite mit der anderen so zu verbinden, dass unsere Schulabgänger möglichst optimal auf die künftigen Herausforderungen des Berufsalltags vorbereitet werden. Mit dem Projekt «Kaufleute 2022» soll die Lehre weiterentwickelt werden, das selbstorganisierte Lernen wird an Bedeutung gewinnen.

Wie haben sich in den letzten Jahren die Lernenden verändert?

BER: Grundsätzlich haben wir an unserer Schule hochanständige junge Leute, die hier ein- und ausgehen. Meiner Meinung nach hat sich auch die Arbeitsmoral gegenüber noch vor 10 Jahren nicht signifikant verändert. Man fällt selber immer wieder in die Falle, dass man aufgrund von einzelnen Ereignissen ein Pauschalurteil fällt und dann eine ganze Gruppe von Menschen oder gar eine Generation negativ beurteilt. Insgesamt stellen wir unseren Lernenden ein gutes Zeugnis aus: Sie sind engagiert und geben ihr Bestes, am Ende ihrer Lehrzeit ein erfreuliches Diplom in den Händen zu halten.

Wie ist Ihre Beziehung zu den Lehrbetrieben?

BER: Wir pflegen mit den Lehrbetrieben einen offenen und ehrlichen Kontakt. Es ist uns wichtig, dass man im Falle einer Schwierigkeit oder einer Frage das gegenseitige Gespräch sucht und dadurch effizient und effektiv Lösungswege bespricht. Dank den heutigen Kommunikationsmitteln wie Mail etc. erreicht man die angesprochenen Personen ohne Umwege und erhält in der Regel auch innert kurzer Zeit eine Antwort.